Seit Josef Ratzinger alias Benedikt XVI. mit einem Vortrag, den er anlässlich seines Bayern-Besuchs an der Regensburger Universität hielt, in der islamischen Welt heftige Proteste auslöste, ist der Vatikan um Abwiegelung bemüht.
Der Papst bedauerte "die Reaktionen auf einige Passagen meiner Rede" - nicht aber die Passagen selbst. Der Vatikan wies seine Botschafter in muslimischen Ländern an, den Inhalt der Rede zu "erläutern". Und auch die Presse - insbesondere die deutsche - versuchte die Aufregung als Ergebnis eines Missverständnisses darzustellen.
In Wirklichkeit ist sie nichts dergleichen. Es wäre mehr als naiv zu glauben, der Papst habe die Auswirkungen einer Rede, die er einen Tag nach dem fünften Jahrestag der Terroranschläge vom 11. September hielt, nicht abschätzen können. Während seiner Bayern-Reise wurde nichts dem Zufall überlassen. Jede Geste war vorbereitet, jedes Wort sorgfältig abgestimmt. Schließlich verfügt der Vatikan über nahezu 2000 Jahre Erfahrung im Umgang mit anderen Religionen.
Ratzingers Rede fällt in eine Zeit, in der die koloniale Unterwerfung des Nahen Ostens zunehmend ideologisch gerechtfertigt wird. Was als "Krieg gegen den Terror" begann, weitet sich zum Kampf gegen den "gewalttätigen Islamismus", den "Islam-Faschismus" und zur Verteidigung des "christlichen Abendlands" aus. Die Rede steht außerdem in der Kontinuität früherer Ratzinger-Äußerungen - seiner Ablehnung einer türkischen EU-Mitgliedschaft oder seines Eintretens für einen Gottesbezug in der europäischen Verfassung, der Europa als rein christliches Gebilde definieren würde.
Natürlich kann der Papst nicht derart plump gegen den Islam hetzen, wie dies ein George W. Bush oder ein bayrischer Ministerpräsident tun. Schließlich leben viele der weltweit eine Milliarde Katholiken in überwiegend muslimischen Ländern. Daher versteckte er seine Botschaft in einem Vortrag über Glaube und Vernunft und legte sie in den Mund eines byzantinischen Kaisers aus dem 14./15. Jahrhundert. Trotzdem blieb die Botschaft unmissverständlich und klar: Das Christentum ist friedlich und vernünftig, der Islam gewalttätig und irrational.’ Und diese Botschaft bleibt selbst dann haften - auch das wusste der Papst -, wenn er die hinterher "bedauert".
Nicht nur viele Muslime, auch George W. Bush hatte keine Mühe, Ratzingers Botschaft zu verstehen. Er nahm den Papst in Schutz und brachte dessen Rede mit seinem eigenen "Kampf gegen den Terror" in Verbindung. "Dieser Kampf dreht sich nicht um Religionen", sagte er in einem Interview mit CNN. "Dies ist ein Kampf zwischen Menschen, die Religionen benutzen, um zu töten, und denjenigen unter uns, die für Frieden sind." Es gehe nicht um einen Kampf der Kulturen, sondern um "einen Kampf um Kultur".
Die Bevölkerung des Irak, die die abendländische Kultur in Form von amerikanischen Bomben und Besatzungsterror erlebt, wird es zu würdigen wissen.
Geschichtsklitterung
Ratzingers Regensburger Vortrag wurde von den deutschen Medien als hochintellektuell und brillant gepriesen. Tatsächlich ist er ein Beispiel plumper, unehrlicher und bösartiger Geschichtsklitterung.
Schon dass der Papst den byzantinischen Kaiser Manuel II. Palaeologos zitiert, um - wie er und sein Kardinal-Staatssekretär später behaupteten - eine "klare Zurückweisung von religiös motivierter Gewalt, egal woher sie komme", zu begründen, ist eine historische Unverschämtheit sondergleichen.
Manuel II. lehnte den "heiligen Krieg" nämlich keineswegs generell ab. Sein byzantinisches Reich war im 14. Jahrhundert schon so weit im Niedergang, dass er dem Osmanischen Reich Söldnerdienste leistete, bevor er schließlich mit ihm brach und in Europa für einen Kreuzzug gegen die Osmanen warb - allerdings ohne großen Erfolg. Seine Rettung war schließlich der Mongolensturm unter dem Moslem Tamerlan, der das erste Osmanische Reich mit enormer Brutalität verwüstete. Manuel II. schickte Tamerlan nach dessen Sieg über die Osmanen bei Ankara Geschenke.
Auf diesen Mann nun beruft sich Ratzinger als Zeuge für den friedlichen und vernünftigen Charakter des Christentums. Er zitiert aus einem Gespräch mit "einem gebildeten Perser", in dem Manuel II. sagt: "Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat, und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, dass er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten".
Auch wenn der Papst mittlerweile behauptet, er habe lediglich aus einem mittelalterlichen Text zitiert, ohne sich dessen Inhalt zu Eigen zu machen, distanziert er sich in seiner gesamten Rede kein einziges Mal vom Inhalt dieses Zitats. Im Gegenteil, er unterstellt dem Islam immer wieder, er legitimiere Gewalt und Zwang gegen Andersgläubige.
Wäre es Ratzinger tatsächlich darum gegangen, religiös motivierte Gewalt in jeder Form zurückzuweisen, hätte er nicht den Islam bemühen müssen. In der Geschichte seiner eigenen Kirche gibt es genügend Beispiele für die Verbreitung des Glaubens mit dem Schwert.
Fast dreihundert Jahre bevor Mohammed überhaupt geboren wurde, hatte der in der katholischen Kirche als Heiliger verehrte Augustinus von Hippo die Lehre vom gerechten Krieg, vom "bellum iustum" entwickelt. Das Christentum war damals im Römischen Reich gerade Staatsreligion geworden, in der römischen Armee durften nur noch Christen dienen.
Auch auf die spätere Expansion des Islam reagierten die Vorgänger von Benedikt XVI. nicht mit theologischen Debatten: Im Jahr 1095 rief Papst Urban II. zum ersten Kreuzzug auf, und in den folgenden Jahren fielen christliche Ritterheere immer wieder mordend und brandschatzend über den Nahen Osten her.
Die Brutalität der Reconquista, die das maurische Spanien unter christliche Herrschaft zurückbrachte, ist in zahlreichen literarischen Werken dokumentiert. Nur einzelne Bauten, die der christlichen Zerstörungswut entgingen, zeugen heute noch von der Überlegenheit der islamischen Kultur. Überflüssig zu erwähnen, dass der Schutzheilige der Reconquista, auch "Jakob der Maurenschlächter" genannt, noch heute von der katholischen Kirche als Patron von Spanien verehrt wird.
Katholizismus und Vernunft
Auch der Rest von Ratzingers Rede ist Geschichtsfälschung der übelsten Art.
So die Behauptung, der christliche Glaube habe sich von Beginn an mit der griechischen Philosophie "verschmolzen" und sei deshalb seinem Wesen nach grundsätzlich vernünftig. Für den Islam dagegen sei der Wille Gottes "an keine unserer Kategorien gebunden, und sei es die der Vernünftigkeit".
Das Christentum, behauptet Ratzinger weiter, habe "trotz seines Ursprungs und wichtiger Entfaltungen im Orient schließlich seine geschichtlich entscheidende Prägung in Europa gefunden. Wir können auch umgekehrt sagen: Diese Begegnung [zwischen Christentum und griechischer Philosophie], zu der dann noch das Erbe Roms hinzutritt, hat Europa geschaffen und bleibt die Grundlage dessen, was man mit Recht Europa nennen kann."
Das ist schlichtweg absurd. Es war weniger das Christentum als der Islam, der die griechische Philosophie erhalten und nach Europa gebracht hat. In einem Standardwerk zur Geschichte des Islam heißt es dazu, die Entdeckung der griechischen Philosophie und Wissenschaft habe "in einem Maße auf den Islam eingewirkt, dass man zuweilen geneigt war, seiner geistigen Welt jede Originalität abzusprechen". Dem Islam sei "es vor allem zu danken, dass Europa das antike Erbe, dem es entfremdet worden war, seinerseits wiederentdecken und aufs neue beleben konnte".
Und in direktem Gegensatz zu dem, was Ratzinger behauptet, steht dort: "Während dieser Gedanke ins Christentum nur schwer Eingang findet, sind für den Muslim Glaube und Vernunft keine prinzipiellen Gegensätze." [Fischer Weltgeschichte: Der Islam I. Vom Ursprung bis zu den Anfängen des Osmanenreiches, S. 127 f.)]
Das moderne Europa ist nicht durch, sondern im Kampf gegen die christliche und besonders die katholische Kirche entstanden. Letztere begegnete Andersgläubigen, Aufklärung und Humanismus, von sozialen Bewegungen von unten ganz zu schweigen, mit Feuer und Schwert.
Der letzte mittelalterliche, im wahrsten Sinne des Wortes absolutistische Fürst ist der Papst selbst. Im Grundgesetz des Vatikans heißt es in Artikel 1: "Der Papst besitzt als Oberhaupt des Vatikanstaates die Fülle der gesetzgebenden, ausführenden und richterlichen Gewalt". Und im Codex des Kanonischen Rechtes heißt es in Can. 331, er sei "Stellvertreter Christi und Hirte der Gesamtkirche hier auf Erden; deshalb verfügt er kraft seines Amtes in der Kirche über höchste, volle, unmittelbare und universale ordentliche Gewalt, die er immer frei ausüben kann".
Ratzinger wirft auch der protestantischen Reformation, der Aufklärung, der liberalen katholischen Theologie und natürlich der "modernen Vernunft" vor, sie hätten Wissenschaft und Glauben getrennt. Während er den Islam beschudigt, er sei unvernünftig, geht er selbst weit hinter Kant und sogar Luther zurück. Denn er macht keinen Hehl daraus, dass er nicht nur die "Befreiung aus der Unmündigkeit" (Kant) sondern selbst die "Freiheit eines Christenmenschen" (Luther), selbst zu erkennen, zu denken und zu entscheiden, entschieden ablehnt.
Das Erbe der Inquisition
Vor seinem Amtsantritt als Benedikt XVI. stand Josef Ratzinger der Glaubenskongregation vor, der direkten Nachfolgerin der Heiligen Inquisition. Sie demonstrierte in der Praxis, was die katholische Kirche unter der "Verschmelzung von griechischer Philosophie und christlichem Glauben", von Vernunft und Religion versteht: Was richtig und falsch war, und zwar in jeder Hinsicht, bestimmte die Kirche.
Die sokratischen Dialoge der christlichen Kirche mit Ungläubigen, Andersgläubigen, "Ketzern" und "Hexen" wurden in der Folterkammer geführt und endeten auf dem Scheiterhaufen oder im Kerker. Es gibt Schätzungen, wonach die Opfer der Inquisition in die Millionen gehen. Hinzu kamen ungezählte Gefolterte und Misshandelte.
Heute bekehrt die katholische Kirche - wenn man von den nach wie vor praktizierten Teufelsaustreibungen absieht - Ungläubige zwar nicht mehr mit Folterwerkzeugen, Diktaturen die Folter praktizieren können sich ihrer Unterstützung aber nach wie vor sicher sein, sofern sie sich zum Katholizismus bekennen. Das gilt vor allem für Lateinamerika. Dort hat Ratzinger 1992 persönlich den bekannten Priester Leonardo Boff aus dem Amt gejagt, weil er sich als Befreiungstheologe für die Armen und Unterdrückten einsetzte.
Auch die faschistischen Regime im Europa des 20. Jahrhunderts waren aufs Engste mit der katholischen Kirche verbunden - in Spanien, in Italien, in Polen, in Kroatien, in der Slowakei und in geringerem Maße auch in Deutschland, wo der Vatikan sechs Monate nach Hitlers Machtübernahme das bis heute geltende Reichskonkordat unterzeichnete.
Ratzingers Rede ist kein intellektueller Höhenflug eines weltfremden Theologen, der vergessen hat, dass er kein Professor mehr ist, sondern eine gezielte Provokation. Sie enthält eine durchdachte politische Perspektive, die die katholische Kirche als ideologisches Bollwerk des "christlichen Abendlands" gegen alle freiheitlichen und fortschrittlichen Bestrebungen im Innern und zur ideologischen Vorhut eines imperialistischen Kreuzzuges in den rohstoffreichen islamischen Ländern positionieren soll.
In seiner Haltung zum Islam ist Benedikt von der Linie seines Vorgängers Johannes Paul II. abgerückt, der - gesellschaftspolitisch ebenfalls ein Erzreaktionär - im Weltmaßstab auf die Zusammenarbeit der großen Religionen setzte.
Kaum im Amt, entließ er Erzbischof Michael Fitzgerald, der für den Dialog mit anderen Religionen zuständig war und als bester Islam-Kenner des Vatikans galt. Mehrfach wurden dann Äußerungen bekannt, in denen er den Islam angriff. Letztes Jahr gewährte er auch der kürzlich verstorbenen italienischen Journalistin Oriana Fallaci ein ausführliches Interview, die in ihren Schriften den Islam hysterisch angegriffen hatte.
Ratzingers Provokation erfolgt zu einem Zeitpunkt, an dem sich die europäischen Mächte verstärkt im Nahen Osten engagieren. Seine Rede fand entsprechende Unterstützung bei europäischen Medien und Politikern.
Der italienische Ex-Premier Silvio Berlusconi bezeichnete sie als "positive Provokation". Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) versprach dem Papst, sich für die Verankerung eines Gottesbezugs in der Europäischen Verfassung einzusetzen. Die bayrische CSU forderte, wegen der Kritik führender türkischer Politiker am Papst die Beitrittsgespräche der EU mit der Türkei abzubrechen. Und Bundesinnenminister Schäuble (CDU) schob der Provokation Benedikts eine eigene hinterher, indem er verlangte, in deutschen Moscheen solle ausschließlich deutsch gesprochen werden. Schließlich halte der Katholizismus seine Predigten ja auch nicht mehr auf Latein.